Das neoliberale Verständnis von Freiheit in der Klimakrise

Neoliberale Personen und Parteien, wie beispielsweise Politiker:innen der FDP, bezeichnen Klimaschutzmaßnahmen wie ein generelles Tempolimit auf Autobahnen oder einen Ausstieg aus Verbrennungsmotoren gerne als Einschränkung von Freiheit. Gleichzeitig tun sich dieselben oft schwer damit, Klimawandelfolgen wie Hitzewellen und Flutkatastrophen als Freiheitseinschränkung zu bezeichnen. Die Frage, die ich in diesem Artikel stelle, lautet deshalb: Warum verstehen Neoliberale Klimaschutzmaßnahmen als Freiheitseinschränkungen, Klimawandelfolgen aber kaum? Natürlich sind die Positionen der FDP auch geprägt von tagespolitischem Kalkül und von Lobby-Interessen. Darum soll es hier aber nicht gehen. Mir geht es darum, zu zeigen, dass diese Positionen der FDP einfach auch das neoliberale Verständnis von Freiheit wiedergeben. Wie dieses aussieht, wie es sich in Klimawandeldebatten manifestiert und wie es sich kritisieren lässt, erfährst du in diesem Artikel.

Hayek und das neoliberale Verständnis von Freiheit

Dazu schauen wir uns heute die Freiheitsdefinition Friedrich August Hayeks an – dem neoliberalen Vordenker schlechthin. Aufgrund der Maßgeblichkeit, mit der Hayek das neoliberale Denken geprägt hat, bezeichne ich seine Freiheitsdefinition in der Folge auch als das neoliberale Verständnis von Freiheit.

Kurz zum Begriff „Neoliberalismus“ – Ich verstehe es so, dass frühere liberale Positionen besagten, dass ein Staat möglichst nie in irgendetwas regulierend eingreifen soll. Im Unterschied dazu möchten Neoliberale, dass ein Staat ein Gewaltmonopol besitzt, um willkürliche Zwangs- und Gewaltausübung zwischen Menschen (wie zum Beispiel Angriffe auf Privateigentum) zu minimieren.

Freiheit ist Hayek (2005, S. 13) zufolge die „Abwesenheit von Zwang“. Zwang ist Hayek zufolge gegeben, wenn sich eine Person in einer Situation wiederfindet, in der sie sich nach den Zwecken des Handels einer anderen Person richten muss und nicht nach dem eigenen Willen handeln kann (ebd., S. 29). Völlig vermieden werden könne Zwang in einer Gesellschaft nicht, da Zwang nur durch die Androhung und Durchsetzung von Zwang durch jemand anderen verhindert werden könne (ebd.). Im Neoliberalismus und bei Hayek ist dies der Staat, der das Zwangsmonopol besitzen soll, um den Zwang insgesamt möglichst zu minimieren (ebd.).

Freiheit und Zwang sind dabei streng auf die Beziehungen zwischen Menschen beschränkt. Hayek betont, dass Freiheit „immer eine Beziehung von Menschen zu Menschen, und der einzige Eingriff in diese Freiheit Zwang durch andere Menschen [ist]“ (ebd., S. 16). Zwänge, die etwa durch die Umwelt oder andere nicht-nur-menschliche Einflüsse entstehen, haben Hayek zufolge nichts mit Freiheit zu tun. Er betont „insbesondere, dass der Bereich physischer Möglichkeiten, aus denen eine Person zu einem gegebenen Zeitpunkt wählen kann, in keinem direkten Zusammenhang mit Freiheit steht“ (ebd.). Das neoliberale Verständnis von Freiheit verdeutlicht Hayek mit dem Bild einer Person, die in eine Gletscherspalte gefallen ist, aus der sie sich nicht aus eigener Kraft befreien kann. Dort hat sie, wie Hayek anerkennt, zwar keine Möglichkeit mehr zu handeln und keine Optionen, zwischen denen sie wählen kann. Dennoch ist diese Person Hayek zufolge als frei zu bezeichnen, da keine andere Person Zwang über sie ausübt (ebd.).

Klimawandel und indirekter zwischenmenschlicher Zwang

Nun möchte ich aber gerne fragen, wie die Gletscherspalte eigentlich da hin gekommen ist. Gegenwärtig üben Menschen durch Klimaveränderungen infolge von CO2-Emissionen massiven Einfluss auf Gletscher aus. In der Folge ändern die Gletscher ihre Fließgeschwindigkeit, brechen Teile von ihnen los oder sie schmelzen sogar ganz. Im übertragenen Sinne schaffen Menschen damit Spalten im Gletscher, wie die in Hayeks Bild. Wenn Menschen dann dort hineinfallen, sagt das neoliberale Verständnis von Freiheit aber überspitzt: „Na und? Diese Menschen sind genauso frei wie vorher. Von so einem Umweltereignis wird die Freiheit doch nicht berührt. Zum Glück wurde niemand dazu gezwungen, das Gletscher-Schmelzen zu unterlassen – das wäre eine untragbare Freiheitseinschränkung gewesen!“.

Die strikte Trennung zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Einflüssen ist aber in der Wirklichkeit – und insbesondere beim Klimawandel – nicht aufrechtzuerhalten. Wenn Menschen von der gegenwärtigen Situation ausgehend weiter CO2 emittieren, erzwingen sie damit Klimaveränderungen. Deren Folgen sind unter anderem Extremwetterphänomene wie die Flut im Ahrtal oder Hitzewellen, die in erheblichem Ausmaß Menschenleben kosten. Das ist erforscht und bekannt, genauso wie die menschliche Ursächlichkeit für die aktuell steigende CO2-Konzentration in der Atmosphäre. Es handelt sich hierbei definitiv um eine Einschränkung von Menschen durch Menschen, wenn auch vermittelt durch die Umwelt (siehe auch: Datensetzende Macht).

Das neoliberale Verständnis von Freiheit lässt allerdings die Möglichkeit zu, durch diese Zwischenschaltung der Umwelt den ganzen Vorgang aus dem Bereich der Freiheit auszuklammern. Die katastrophalen Auswirkungen des Klimawandels lassen sich im Sinne des Gletscherspalten-Bildes als Umweltauswirkungen darstellen, die per Definition nichts mit Freiheit zu tun haben, einfach, weil das neoliberale Verständnis von Freiheit die Freiheit und ihre Einschränkung streng in direkten, zwischenmenschlichen Beziehungen verortet.

Wann darf eine Regierung Maßnahmen gegen den Klimawandel ergreifen?

Ich verstehe das neoliberale Verständnis von Freiheit, vor allem auch durch die Art und Weise, wie es von der FDP angewandt wird, so: Wenn eine Gruppe von Menschen einer Bäuerin das Wasser unter dem Acker wegpumpen würde, dann wäre das eine Einschränkung ihrer Freiheit. Der Staat dürfte an dieser Stelle eingreifen, um willkürlichen zwischenmenschlichen Zwang zu minimieren. Wenn aber dieselbe Gruppe Menschen einen solchen Einfluss auf das Klima nimmt, dass auf ihrem Acker Dürre herrscht und der Grundwasserspiegel sinkt, dann wäre das keine Einschränkung ihrer Freiheit. Der Staat dürfte nicht eingreifen, da anscheinend kein direkter zwischenmenschlicher Zwang vorläge.

Direkter, zwischenmenschlicher Zwang. Die Regierung dürfte einschreiten.
Direkter, zwischenmenschlicher Zwang. Die Regierung dürfte einschreiten.
Zwang vermittelt durch die Umwelt. Das Einschreiten der Regierung würde nach dem neoliberalen Verständnis von Freiheit selbst zum Zwang werden.
Zwang vermittelt durch die Umwelt. Das Einschreiten der Regierung würde selbst zum Zwang werden.

Mit diesen Grafiken lässt sich der Unterschied verdeutlichen. Wenn ein Mensch direkten Zwang (rot, linkes Bild) über einen anderen Menschen ausübt, dann dürfte dieser Zwang unterbunden werden, beispielsweise von einer Regierung (grau, linkes Bild). Dies entspräche einer „Politik der Freiheit“ (Hayek 2005, S. 15), deren Aufgabe es ist, Zwang zu verringern. Wenn jedoch dieser Zwang vermittelt durch die Umwelt ausgeübt wird, passieren zweierlei Dinge. Erstens gilt das Verhalten der ersten Person nicht mehr als Zwang, weil Freiheit und Zwang eben nur zwischen Menschen stattfinden soll. Sowohl die Effekte, die menschliches Handeln auf die Umwelt hat, als auch die Effekte, die die Umwelt auf menschliches Handeln hat, werden aus dem Bereich der Freiheit ausgeklammert (grau, rechtes Bild). Zweitens gilt nun das Einschreiten einer Regierung gegen das Verhalten der ersten Person selbst als Freiheitseinschränkung der ersten Person, die es zu verhindern gelte (rot, rechtes Bild) – gerade weil das Verhalten der ersten Person nicht mehr als Zwang gesehen wird.

Das neoliberale Verständnis von Freiheit eignet sich demnach hervorragend, um im Namen der Freiheit einiges aufzuhalten, was Umweltzerstörung oder Klimaerhitzung irgendwie einschränkt. Und gleichzeitig eignet es sich dazu, die Effekte des Klimawandels zu naturalisieren und den menschlichen Einfluss darauf auszuklammern. Die Positionen von FDP-Politiker:innen, bei staatlichen Klimaschutzmaßnahmen zu bremsen und die Auswirkungen einer Klimakatastrophe nicht als Freiheitseinschränkungen zu thematisieren, entsprechen dieser ideologischen Grundlage.

Na klar wird ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen allein eine Klimakatastrophe nicht verhindern. Und wir können über Verhältnismäßigkeit streiten. Aber der FDP geht es in diesem Punkt ja nicht um Verhältnismäßigkeit, sondern ums Prinzip: Um das Prinzip, möglichst keinen staatlichen Zwang anzuwenden im Versuch, eine Klimakatastrophe abzuwenden. Und genau bei diesem Prinzip möchte ich sie kritisieren. Denn mit dem neoliberalen Verständnis von Freiheit, das diesem Prinzip zugrunde liegt, wird nicht mehr der Zwang, der auf die Umwelt und mittels der Umwelt auch auf andere Menschen ausgeübt wird, als Freiheitseinschränkung wahrgenommen, sondern der eigentlich legitime Versuch einer Regierung, diese Freiheitseinschränkung zu unterbinden, wird zur Freiheitseinschränkung verklärt. Ein solches Ausklammern der Mensch-Umwelt-Beziehung wird der komplexen Wirklichkeit nicht gerecht und kann damit keine gute Grundlage für effektive Klimapolitik sein.

Eine negative Definition

Hayeks Definition von Freiheit ist eine rein negative. Freiheit definiert sich nur über die Abwesenheit von Zwang. Positive Merkmale, Eigenschaften, die die Freiheit ausmachen, werden dabei nicht festgelegt. Hayek erkennt dies an: „Gegen unseren Begriff der Freiheit wird oft eingewendet, dass er bloß negativ sei“ (Hayek 2005, S. 25), und fügt hinzu: „Die Freiheit wird etwas Positives nur durch den Gebrauch, den wir von ihr machen“ (ebd., S. 26).

Negative Definitionen sind jedoch meiner Ansicht nach selten gute Definitionen, denn sie lassen ein riesiges Spektrum an Zuständen zu, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Eine Person mag ihre Freiheit nutzen können, um über die Autobahn zu brettern. Eine andere Person mag ihre Freiheit zu nichts anderem nutzen können, als zu verhungern. Zu sagen, Freiheit sei die Abwesenheit von Zwang ist genauso nutzlos wie zu sagen, Frieden sei die Abwesenheit von Krieg – denn auch in Friedenszeiten können Menschen unter diktatorischen Terrorstaaten leben.

Dass Freiheit rein negativ definiert wird, heißt also, dass auch die Freiheit völlig leer und sinnlos sein kann. Das zeigt sich nicht zuletzt an Hayeks Beispiel mit der Gletscherspalte. Die Person ist frei – aber ihre Handlungsoptionen sind dermaßen limitiert, dass ihre Freiheit zu einer Farce verkommt.

In der Klimakrise zeigen sich also deutlich zwei Unzulänglichkeiten des neoliberalen Verständnisses von Freiheit: Zum einen das Ausklammern der Umwelt aus dem Bereich der Freiheit, was zu einer Verschiebung dessen führt, was als Freiheitseinschränkung gesehen wird. Zum anderen der Mangel an positiver Freiheitsbestimmung: Wenn Freiheit nur negativ definiert wird, dann kommt eine Beliebigkeit der Freiheit dabei raus, die im schlimmsten Fall nur noch eine Hülle ohne Inhalt ist.

Referenzen

Hayek, Friedrich A. (2005). ‚Die Verfassung der Freiheit‘, 4. Auflage. Tübingen: Mohr Siebeck.


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