Ich war letztens in Halberstadt in der Sauna. Da meinte einer der nackten Männer: “Die Leute wählen ja nicht die AfD, weil sie doof sind. Doof sind die, die nicht die AfD wählen!”. Ist es also einfach Intelligenz, die darüber entscheidet, ob die AfD Erfolg hat? Einen völlig anderen Erklärungsansatz finden wir bei Chantal Mouffe. Sie hat selbst wenig direkt über die AfD geschrieben. Deshalb versuche ich in diesem Artikel, ihren Ansatz auf die AfD anzuwenden. Wenn du wissen willst, wie dieser Ansatz aussieht und was sich daraus für den Umgang mit der AfD ergibt, dann lies weiter.
Was ist Politik für Mouffe?
Wir schauen heute also mit dem Blick von Chantal Mouffe auf Politik. Dafür klären wir zunächst mal eine grundsätzliche Frage: Was ist überhaupt Politik?
Politik ist für Mouffe, eine Unterscheidung zwischen Freund und Feind zu machen. Wer nach außen hin kommuniziert: “Dafür stehen wir und das sind unsere Freunde. Dagegen stehen die anderen und das sind unsere Feinde!”, der macht Politik.
Damit ist auch klar, dass Politik bestimmte Sachen nicht ist:
- Erstens: Politik ist nicht rational. Wer auf der Suche nach dem besten, wissenschaftlich belegten Argument ist, der betreibt keine Politik.
- Zweitens: Politik ist nicht konsensorientiert. Wer die Ideen aller Beteiligten zusammenbringen möchte, der betreibt auch keine Politik.
Denn im “Wir gegen die” steckt eben immer auch ein “gegen”. Konflikt ist für Mouffe ein ständiger Begleiter menschlichen Zusammenlebens, weswegen es nie einen dauerhaften Konsens geben kann – auch nicht in der Politik. Zu versuchen, diese Konflikte dauerhaft zu verdrängen sei also aussichtslos.
Freund und Feind, Irrationalität, ewige Konflikte… Ist die Politik überhaupt noch zu retten? Es gibt das berühmte Zitat, Krieg sei nur die Fortführung der Politik mit anderen Mitteln. Das passt ganz gut zu Mouffes Politikverständnis, finde ich. Ihre Definition von Politik übernimmt Mouffe übrigens von Carl Schmitt, der selbst ein überzeugter Nazi war.
Mouffe geht es nun aber gerade darum, einen Rahmen zu schaffen, in dem die Politik nicht zum Krieg wird, sondern die Freund / Feind Unterscheidung friedlich ausgetragen werden kann.
Aber ausgetragen werden, das soll sie. Denn gerade die Abwesenheit einer Freund / Feind Unterscheidung sieht Mouffe als den Grund, der den neuerlichen Aufschwung des Rechtspopulismus erst ermöglicht hat. Wie konnte das passieren?
Was meint Mouffe mit Post-Politik?
Wenn keine Freund / Feind Unterscheidung mehr stattfindet, ist das für Mouffe schlicht keine Politik mehr. Post-Politik nennt sie das, etwas das nach der Politik kommt. Mouffe zufolge hat sich in den vergangen Jahrzehnten die Politik in westlichen Demokratien wie Deutschland in eine solche Post-Politik verwandelt.
Schauen wir uns als Beispiel einmal die Wahlplakate von CDU und SPD an. Hier mal zwei aus der Nachkriegszeit:
Ich finde, hier gibt es zwei klare Alternativen, die für ganz unterschiedliche Programme stehen. Und eben auch eine klare Unterscheidung zwischen Freund und Feind, die vor allem auf dem CDU Plakat deutlich wird.
Springen wir in die 2010er Jahre. Bei der Veröffentlichung der Wahlplakate wird der Generalsekretär der CDU gefragt, wodurch sich denn ihre Plakate von denen der SPD unterscheiden. Er dreht sich um, schaut die Plakate an, überlegt, und sagt: “Bei uns lächeln die Menschen mehr!”. Heute lauten die Slogans eher: “Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben”. Und zwar bei beiden Parteien.
Parteien, die zuvor für entgegengesetzte Richtungen standen, für Freund und Feind, sind sich heute also recht einig – aber worauf haben sie sich geeinigt?
Was ist neoliberale Globalisierung?
Mouffe zufolge haben sich die großen Parteien auf ein angeblich alternativloses Programm geeinigt, und zwar: neoliberale Globalisierung. Was steckt dahinter?
Beide Wörter, die da drin stecken, sind umstrittene Begriffe, die von unterschiedlichen Menschen unterschiedlich definiert werden. So wie ich sie verstehe, bedeuten sie etwa:
- Neoliberalismus: wenig staatliche Lenkung. Der Staat ist dazu da, um Privateigentum zu schützen und den Wettbewerb sicherzustellen. Entsprechend geht das mit weniger staatlichen Vorschriften (Deregulierung), weniger staatlichen Ausgaben (Austerität) und der Privatisierung von öffentlichen Diensten und Infrastrukturen einher.
- Globalisierung: Weltweite Vernetzung und gegenseitige Abhängigkeit (zum Beispiel bei Lieferketten oder der Energieversorgung). Und, vor allem in Kombination mit dem Neoliberalismus, eine Intensivierung und Beschleunigung des weltweiten Warenhandels.
Wie haben sie sich Mouffe zufolge darauf geeinigt?
Neoliberale Globalisierung war zunächst das Programm konservativer Staatschefs wie Ronald Reagan und Margaret Thatcher in den 1980er Jahren, nachdem es zuvor unter dem chilenischen Diktator Pinochet erstmals in größerem Stil ausprobiert wurde. Da Mouffe in Großbritannien arbeitet, bezieht sie sich vor allem auf das Beispiel Thatcher – und den ihr später nachfolgenden Tony Blair.
Thatcher privatisierte unter anderem die Telekommunikation, Luftfahrt, Energiekonzerne und die Wasserversorgung – und bekundete, zu diesem Programm gäbe es schlicht keine Alternative. Natürlich gab und gibt es die. Aber politisch spielte diese bald keine Rolle mehr.
Die linke Labour Partei, traditionell ein Gegner des Neoliberalismus, wurde 1997 mit großer Mehrheit in die Regierung gewählt. Und es änderte sich… wenig. Die Regierung von Tony Blair führte Thatchers Privatisierungsprogramm einfach unter anderem Namen fort.
Auf die Frage, was ihr größter Erfolg gewesen sei, antwortete Thatcher deshalb auch: “Blair und seine Politik. Wir haben unsere Gegner gezwungen, ihre Meinung zu ändern”.
Ähnliches passierte zu gleicher Zeit auch in Deutschland unter Schröders Rot-Grüner Regierung mit der Agenda 2010, oder in den USA unter Bill Clinton, der ebenfalls die Privatisierungsprogramme seiner konservativen Vorgänger fortsetzte.
Die Konservativen schafften es also in den 1980er und 1990er Jahren, dass ihr Programm zum vorherrschenden Programm wurde, auch ohne dass sie dafür selber an der Regierung sein müssen. Wie haben sie das geschafft?
Mouffe zufolge sicherlich nicht, weil es das rational beste Programme wäre – so funktioniert Politik ihrer Auffassung ja nicht. Und auch nicht dadurch, dass alle Perspektiven zu einem Konsens gebracht wurden, was ja schon an Thatchers Aussage: “Wir haben sie gezwungen…”, deutlich wird.
Hier mal ein kurzer Ausschnitt (ab 0:30) einer Rede Thatchers. Thatcher nennt ihren Weg populären Kapitalismus und sagt: “Wir Konservativen geben dem Volk die Macht zurück. Das ist der Weg zu einer Nation, einem Volk.” Hinter Thatchers Erfolg steht also unter anderem… Populismus! Und damit auch eine gehörige Portion Freund / Feind Unterscheidung.
Was ist Populismus für Mouffe?
Im Mittelpunkt des Populismus steht das Volk.
Und eine ganz bestimmte Freund / Feind Unterscheidung: Nämlich zwischen dem Volk auf der einen Seite, und der Elite auf der anderen Seite.
Wer Volk und wer Elite ist, können sich die Populist:innen selber aussuchen, indem sie bestimmte Menschen als Volk (Freunde) bezeichnen und andere als Elite (Feinde) brandmarken.
Populismus heißt also nicht, ein Volk zu mobilisieren, das irgendwie schon von Natur aus da wäre.
Populismus heißt, ein Volk zu kreieren.
Bei Thatcher lässt sich das zum Beispiel an ihrem berühmten Zitat erkennen: “Es gibt keine Gesellschaft. Es gibt nur Individuen und ihre Familien”.
Natürlich gab es eine Gesellschaft (verstanden nicht als lose Ansammlung von Individuen, sondern, zum Beispiel, als gemeinsam organisierte Individuen) in Großbritannien. Es gab sie zum Beispiel im Form von Gewerkschaften.
Diese wurden von Thatcher aber zum Feind erklärt und bekämpft. Mit Bezug auf den Falkland-Krieg meinte sie zum Beispiel, der Feind im Außen sei besiegt, während der „Feind im Inneren„, also streikende Minenarbeiter:innen und ihre Anführer:innen, immer noch bekämpft werden müsse. Das Volk hingegen, das wieder an die Macht kommen müssen, das waren Individuen, Konsumenten, Marktakteure.
Ein Linkspopulist dagegen würde wohl sagen, dass gerade die organisierten Arbeiter:innen das Volk sein, das sich gegen die Elite, dann zum Beispiel verstanden als große Marktakteuere, auflehnt.
Um erfolgreich zu sein, wird dabei an Grenzen angedockt, die schon in den Köpfen der Menschen existieren. So gibt es eine Art Wechselwirkung zwischen Volk und Populist:innen. Menschen haben bestimmte Freund / Feind Unterscheidungen bereits im Kopf, diese greifen die Populist:innen auf, verändern sie, fügen etwas hinzu, nehmen etwas weg. Das wiederum wird dann (wenn es gut gemacht ist) von den Menschen übernommen, und bietet wieder die Ausgangslage für eine weitere Verschiebung. So zumindest beschreibt Foucault, auf den sich Mouffe viel bezieht, eine Art wie Macht im Diskurs ausgeübt wird. Und so stelle ich mir es immer vor, wie das aussieht, wenn von „Diskursverschiebung“ gesprochen wird. So können Menschen zum Volk werden.
Während Thatcher trotz allem eher nur „ein bisschen populistisch“ war, ist die AfD sehr populistisch. Thatcher machte zwar eine starke Freund / Feind Unterscheidung auf und bezog sich auch immer wieder auf die Vorstellung eines Volks. Die AfD hingegen zeigt eine viel stärkere Idealiserung der Vorstellung eines irgendwie weißen, heterosexuellen, deutschen Volks. Und auch einen viel stärkeren, oft wiederholten Bezug auf irgendwelche links-grünen-Klima-Flüchtlings-Medien-Eliten.
Populismus ist also eine politische Strategie, die mit Inhalten kombiniert werden kann. So wird der Populismus in Kombination mit Neoliberalismus zu Thatchers populären Kapitalismus. Oder in Kombination mit rechtsextremen Ideen zum Rechtspopulismus der AfD. Wie kam es von einem zum anderen?
Post-Politik: Der Weg zum populistischen Moment
In den 1980er und 1990er Jahren setzte sich Thatcher mit ihren Vorstellungen eines Volkes aus Individuen und Konsumente durch. Und die Mitte-Links Parteien schließen sich in der Folge dieser Vorstellung an.
Beim Labour Ministerpräsidenten Tony Blair hörte sich das zum Beispiel so an: „Die Frage lautet nicht, ob wir eine linksgerichtete oder eine rechtsgerichtete Wirtschaftspolitik wollen, sondern ob wir eine gute oder eine schlechte Wirtschaftspolitik wollen.“
Für Mouffe ist das ein klares Beispiel von Post-Politik, in der keine Freund / Feind Unterscheidung mehr stattfindet.
Es geht dann in der Post-Politik nicht mehr um die Frage, welche Richtung man einschlagen will, sondern nur noch darum, wem man die Verwaltung der bereits eingeschlagenen Richtung am ehesten zutraut.
Was aber, wenn die eingeschlagene Richtung in die Krise kommt?
Was meint Mouffe mit dem populistischen Moment?
Mit der Wirtschaftskrise in 2008 konnte die neoliberale Globalisierung ihre Versprechen nicht mehr einlösen. In einer Zeit, in der Preise steigen, Menschen ihre Arbeit und ihre Häuser verlieren oder sich gar nicht erst ein Haus leisten können, entstehen Zweifel daran, ob es wirklich keine Alternative zur neoliberalen Globalisierung gibt.
Mouffe nennt das einen “populistischen Moment”. Es gibt eine Krise, aber keine der großen Parteien bietet eine Alternative, da sich alle demselben Programm verschrieben haben.
Das gilt vor allem für die SPD, und auch für die Grünen, die beide der neoliberalen Globalisierung traditionell entgegenstanden, sich ihr in der Rot-Grünen und in der Ampel-Regierung aber angeschlossen haben.
Für die Linke ist so ein populistischer Moment natürlich eine Chance, und sie konnte nach der Finanzkrise auch einige Gewinne verzeichnen, hat jetzt aber natürlich ganz eigene Probleme.
Infolge der Finanzkrise gründete sich die AfD. Und nun bekommt sie infolge der Energiekrise und Inflation ihren größten Aufwind. Und zwar indem sie auf Populismus setzt, und damit wieder eine Freund / Feind Unterscheidung in die Politik bringt.
Das Ziel des Populismus ist dann auch nicht unbedingt, an die Regierung zu kommen. Sondern mit der eigenen Freund / Feind Unterscheidung die Politik zu gestalten.
Es geht darum, das bestehende Programm mit einem neuen Programm abzulösen.
So wie Thatchers Programm umgesetzt wurde, ohne dass ihre eigene Partei noch an der Regierung war, ist der Populismus auch dann erfolgreich, wenn das eigene Programm umgesetzt wird, auch ohne dass man selbst an der Regierung ist.
Somit gewinnt die AfD nicht erst dann, wenn sie Wahlen gewinnt.
Sie gewinnt bereits, wenn andere Parteien Politik in ihren Sinne machen und sie die Freund / Feind Unterscheidung der AfD übernehmen.
Was nicht gegen die AfD hilft
1. AfD-Positionen übernehmen
Es ist ein verbreitetes Narrativ unter Politiker:innen, dass sie Positionen von der AfD übernehmen müssten, um sie zu schwächen und ihnen die Wähler:innen “wieder wegzunehmen”.
Mit Mouffe’s Verständnis von Populismus wird klar, dass das nicht funktionieren kann – im Gegenteil. Dieses Handeln ist genau das, was den Erfolg der AfD befördert.
Politiker:innen, die AfD-Positionen übernehmen, nehmen der AfD also keine Wähler:innen weg. Im Gegenteil: Sie schaffen neue AfD-Wähler:innen.
Schon im Grundgesetz (Artikel 21.1) steht: Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung mit. Ich habe da oft den Eindruck, Söder, Merz, Lindner und co. vergessen diesen Teil gerne.
Von ihnen wird es dann so dargestellt, als wären die Wähler:innen mit ihren Ansichten einfach so vorhanden und die Parteien müssten ihre Stimmen nur einsammeln. Dass Parteien jedoch auch einen starken Einfluss darauf haben, welche Ansichten sich bilden, das macht Mouffe – und auch das Grundgesetz – deutlich.
Denn wenn Politiker:innen der AfD und ihren Ansichten nacheifern, beteiligen sie sich genau an jener Wechselwirkung zwischen Volk und Populist:innen, durch sich die Freund / Feind Unterscheidung der AfD erst etabliert.
Parteien und Politiker:innen, die der AfD nacheifern, helfen mit, genau das Volk zu erschaffen, dass die AfD will und nutzt, um mächtig zu sein.
Und es ist auch einfach ein direkter Erfolg für die AfD, wenn ihre Positionen von anderen Parteien umgesetzt werden.
Denn es ist ja gerade das Ziel des Populismus, dass er auch umgesetzt wird, wenn die populistische Partei nicht an der Regierung ist.
2. Den Status Quo verteidigen
Andererseits hilft es auch nicht, einfach den Status Quo zu verteidigen. Ich habe den Eindruck, diese Strategie wird auch gerne verfolgt. Man grenzt sich von der AfD ab, übernimmt explizit nicht deren Positionen, sondern stellt sich hin und betont, wie wichtig es ist, jetzt die Demokratie, die wir haben, zu verteidigen.
Mouffe zufolge ist ja aber gerade die Art und Weise, wie gegenwärtig Post-Politik in der Demokratie betrieben wird, die das Erstarken der AfD überhaupt ermöglicht. Wenn die gegenwärtige Demokratie zu verteidigen also heißt, es weiter den Expert:innen zu überlassen, wie der eingeschlagene, angeblich alternativlose Kurs am Besten verwaltet werden kann, dann ist das zwar rhetorisch eine Abgrezung zur AfD, aber eben auch nichts, das ihrem Rechtspopulismus die Grundlage entzieht – im Gegenteil.
3. „Die AfD wird sich selbst entzaubern, wenn sie regiert!“
Und schließlich wird es wohl leider auch nichts damit, dass sich die AfD sich im Notfall einfach selbst dadurch entzaubert, dass sie sich als regierungsunfähig erweist, wenn sie mal irgendwo an die Regierung kommt.
Denn Populismus richtet sich ja nicht gegen die, die tatsächlich mächtig sind (also zum Beispiel per se gegen die Regierung), sondern immer gegen die, die als mächtig dargestellt werden. Deshalb funktioniert Populismus auch wunderbar von Regierungsverantwortung aus.
Wenn die AfD im Land mitregiert, sitzt die Elite, die für alles Schlechte verantwortlich ist, eben in Berlin. Und wenn die AfD auf Bundesebene mitregiert, sitzt die verantwortliche Elite eben in Brüssel.
In Ungarn nutzt Victor Orban diese Strategie seit Jahren erfolgreich, um als Rechtspopulist an der Macht zu bleiben.
Die AfD müsste also in der Regierung gar nicht unbedingt Erfolge vorweisen. Sie müsste vor allem die Grenze zwischen dem Volk und den Eliten neu definieren. Das ist erstmal ihre Pflichtaufgabe, um als Populist:innen erfolgreich zu sein. Alles, was dann noch an politischen Erfolgen dazukommt (ein paar Flüchtlinge abgeschoben, sozialen Einrichtungen die Gelder gekürzt, Umweltschutzregelungen aufgeweicht) ist quasi die Kür.
Kann die AfD also nur gewinnen?
Wie der AfD vor Ort begegnen?
Neulich war ich bei einem online-seminar des Movement-Hub zum Thema: Wie weiter gegen Rechts? Da war eine Person vom Bündnis “Nordhausen Zusammen” und hat von ihrem Umgang mit der AfD vor Ort berichtet.
Wie war die Situation in Nordhausen? Im ersten Wahlgang zu Bürgermeisterwahl hatte der AfD Kandidat ~45% der Stimmen erhalten. Dass er im zweiten Wahlgang gewählt würde, war quasi nur noch Formsache. Doch direkt danach hat sich ein Bündnis gebildet, das aktiv wurde und in den verbleibenden zwei Wochen das Blatt noch drehen konnte, sodass der AfDler nicht Bürgermeister wurde.
Wie haben sie das gemacht?
- Sie haben ein positives Selbstverständnis gezeigt und eigene Werte stark gemacht,
- Sie haben eher auf Emotionen gesetzt als auf wissenschaftliche Fakten,
- Aber dabei nicht die AfD “gebasht”, sondern freundlich kommuniziert.
Ich finde, das passt recht gut zu dem, wie Mouffe Politik versteht.
Zuerst einmal eher auf Emotionen setzen, als auf rationale Argumente.
Dann auch den bestehenden Konflikt anzuerkennen und auszutragen, aber dabei friedlich zu bleiben.
Und anstatt AfD-Positionen zu übernehmen, haben sie ihre eigenen Werte stark gemacht und der AfD gegenübergestellt.
Dieses Video zeigt den Ansatz nochmal sehr schön. Anstatt sich also der Freund / Feind Unterscheidung der AfD unterzuordnen, haben sie ihre eigene Freund / Feind Unterscheidung aufgemacht, mit klaren eigenen Werten auf der Freundesseite, und der AfD als Feind. Mouffe zufolge wäre das sehr gute Politik – und so war das Bündnis ja auch erfolgreich.
Damit haben sie auch nicht darauf gewartet, dass sich die AfD an der Regierung irgendwie selbst entzaubert, sondern sie haben den den Zauberstab selbst in die Hand genommen und Entzauberung betrieben.
Mit Mouffe für einen linken Populismus?
Und auf Bundes- und Europäischer Ebene?
Chantal Mouffe schlägt vor, dem Rechtspopulismus einen Linken oder Grünen Populismus entgegenzusetzen. Also linke oder grüne Inhalte mit populistischen Strategien zu verbinden.
Und damit ein diverses Volk zu schaffen, das den Eliten der neoliberalen Globalisierung gegenübersteht.
Anstatt auf Argumente zu setzen und auf Expert:innen zu verweisen, hieße das dann: auf Emotionen setzen, auf Identitäten verweisen, direkt die Leute adressieren.
Als Beispiele, die das bereits umsetzen, nennt Mouffe Syriza in Griechenland, Podemos in Spanien, und La France Insoumise in Frankreich.
Aber: Alle diese Beispiele sind nicht unbedingt erfolgreich bislang. Allerdings auch nicht so viel unerfolgreicher als ihre rechtspopulistischen Pendants, wie der Rassemblement National in Frankreich oder Vox in Spanien. In Griechenland war Syriza ja sogar an der Regierung. Die Umsetzung ihres linken Wirtschaftsprogramm wurde dann aber von der EU verhindert.
In Italien hingegen sind jetzt Melonis Neo-Faschist:innen an der Regierung. Und Meloni darf sich mit ihrem rechten Migrationskurs als außenpolitisches Aushängeschild der EU profilieren. Mit Italiens Rolle als “Kanarienvogel” für das politische Europa ist das sicher kein gutes Zeichen.
Dass die AfD jetzt aber aus ihrer Fraktion im Europäischen Parlament ausgeschlossen wird, bedeutet für sie natürlich Gegenwind. Für mich zeigt dieser Vorgangvor allem, wie zerbrechlich die AfD-Vision eines Europas der souveränen Nationalstaaten ist, die alle sich selbst an erste Stelle stellen. Denn wenn ein Deutscher dann anfängt, davon zu erzählen, dass SS-Mitglieder ja nicht unbedingt Verbrecher seien, dann klingt der AfD-Wahlkampfslogan: „Deutschland zuerst!“, wohl auch in den Ohren Französischer Rechtsextremist:innen etwas zu sehr nach „Deutschland über alles!“. Ihre Prozente bei der anstehenden EU-Wahl wird die AfD aber wohl trotzdem holen.
Also: Den populistischen Kampf, den Mouffe fordert, müsste man auch erst einmal gewinnen. Und zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa.
Mit Mouffe über Mouffe hinaus?
So interessant ich Mouffes Analyse auch finde – so ganz glaube ich nicht, dass Politik nur aus Freund / Feind Unterscheidung besteht. Gibt es nicht auch andere Arten Politik zu machen, die vielleicht weiterhelfen könnten?
Ein Beispiel liefert gerade die KPÖ in Österreich. Deren Strategie beruht unter anderem darauf, Menschen zuzuhören und deren konkrete Probleme vor Ort auch mit eigenen Mitteln zu lösen.
Dafür bietet die Partei Sprechstunden und Beratungsgespräche an. Und ihre Leute gehen in Vierteln von Tür zu Tür, wo die Politikverdrossenheit besonders groß ist und andere Parteien gar nicht erst hingehen.
Außerdem nutzen die Amtsträger:innen den größten Teil ihres Einkommens, um damit direkt die Menschen aus den Sprechstunden durch finanzielle Hilfe, Informationen oder Vernetzung zu unterstützten.
Das wirkt auf mich erstmal gar nicht wie Mouffe’s Politikverständnis. Zumindest geht es nicht in erster Linie darum, irgendwelche Freund / Feind Unterscheidungen stark zu machen. Womöglich kann man es aber auch als eine Freund / Feind Unterscheidung mit der Betonung auf dem Freund verstehen: Wir sind eure Freunde, wir hören euch zu, wir sind Teil des Volkes, und die anderen sind die Elite.
In jedem Fall ist die KPÖ aber gerade lokal recht erfolgreich. So konnte die KPÖ den Bürgermeisterposten in Graz gewinnen und das Thema Wohnen als vorherrschendes Thema setzten, sodass jetzt anderen Parteien eher der KPÖ nacheifern und auch soziale Wohnpolitik machen wollen, anstatt der Rechtspopulisten und ihrer Migrationspolitik hinterherzurennen.
Eine andere Art der Politik findet sich zum Beispiel auch in der deliberativen Demokratie, wie bei den Bürger:innenräten, mit denen gerade vermehrt experimentiert wird.
Mouffe argumentiert immer recht stark gegen die deliberative Demokratie, da diese zu stark Konsens und Rationalität in den Fokus stellen würde.
Dass sich Mouffes Ansatz aber womöglich auch mit dem der deliberativen Demokratie verbinden lässt und damit eine Perspektive für die Zukunft der Demokratie bieten kann – dazu bald mal in einem anderen Artikel mehr.
Bis dahin!
Zum Weiterlesen und Weiterschauen
Mouffe im Interview: https://www.arte.tv/de/videos/110860-001-A/27-das-interview-chantal-mouffe/
Chantal Mouffe (2005). Über das Politische. Wider die Kosmopolitische Illusion.
Chantal Mouffe (2018). Für einen linken Populismus.
Chantal Mouffe (2022). Eine Grüne Demokratische Revolution.
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